Leseprobe

Kapitel 1



Der Raum war dunkel, in dem er sich jetzt schon seit einigen Stunden aufhielt. Die Fenster hatte er mit den von außen angebrachten Rollläden verdunkelt, damit er komplette Ruhe hatte und nicht abgelenkt werden konnte. Er musste sich konzentrieren, und vor allem musste er genießen und das konnte er nicht, wenn er sich gestört fühlte.

Er hatte viel recherchiert und geforscht. Es gab neue Wege und Möglichkeiten, die direkt zu ihm sprachen und ihn aufforderten, es noch einmal zu versuchen – die Vollkommenheit zu erzielen.

Sein Kopf tat weh und seine Hände schwitzten. Die Luft im Raum war stickig und warm. Er hatte den ganzen Tag hier drin verbrach und die laufenden Geräte taten ihr Bestes, um die Luft zusätzlich zu verdichten. Außer der kleinen Lampe war der Computerbildschirm, auf den er ununterbrochen starrte, die einzige Lichtquelle.

Er wischte seine Hand an der Hose ab und klickte mit der Maus auf die Galerie, wo er die Videos abgespeichert hatte. Er war froh, dass er seine Arbeit damals so sorgfältig festgehalten hatte. Wenn er allerdings vorher gewusst hätte, dass es ein einziger Versuch bleiben würde, hätte er sich sicherlich noch mehr Archivmaterial zugelegt.

Per Zufallsprinzip suchte er sich seine heutige Unterhaltung aus. Er war sich sicher, dass er alle Videos auswendig kannte, da er sie schon so oft gesehen hatte, aber er musste sie dennoch immer wieder anschauen. Für ihn gab es keine größere Befriedigung.

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Seine heutige Wahl fiel auf den 5. Februar 2012. Ein guter Tag. Hier war er mit seiner Arbeit schon weitergekommen und hatte erste Erfolge verzeichnen können.

Das Video startete und zeigte seinen damaligen Arbeitsplatz, für ihn war es eher eine kleine Showbühne. Hier war alles entstanden und so mancher Erfolg gefeiert worden.

Die Kamera schwenkte herum und bekam den Hauptdarsteller in die Totale. Wie immer in den Anfangstagen lag er ruhig und beinahe unbedeutend auf dem Bett, das eigentlich mehr einem Tisch ähnelte und von Apparaten und Monitoren umgeben war. Der Atem ging leise und gleichmäßig. Die Augen waren geschlossen.

Dann sah er sich selbst ins Bild treten. Damals war er noch deutlich schlanker gewesen, was er heute nicht mehr über sich sagen konnte. Der Misserfolg hatte sich in rundlichen Fettpolstern an seinen Hüften niedergelassen.

Sein damaliger hagerer Körper hatte sich um das Bett herumbewegt und sich neben das Kopfende gestellt. Beschwörend legte er die Hände an die Schläfen seines Patienten und presste die Finger stark in die Haut. Dann schloss er die Augen und begann zu summen. Immer die gleiche Melodie. Jeden Tag. Über die gleiche Zeitspanne.

Vor seinem Bildschirm schloss er ebenfalls die Augen, um sich ganz dem Geschehen und dem nun folgenden Phänomen hinzugeben. Er konnte gar nicht sagen, wie erregt er war.

Dann ging es los. Er hörte seine Stimme, wie sie die Anfangsrhythmen sprach. Immer dieselben. Jeden Tag. Das Tor in die andere Welt.

Und dann war es so weit. Der Mann auf dem Bett begann

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klar und deutlich zu sprechen. Voller Anmut wartete er auf die Offenbarung, als er hinter sich plötzlich ein Geräusch vernahm.

Er drehte sich herum und sah die geöffnete Tür hinter sich. Grelles Licht strahlte in den Raum und zwang ihn, seine Augen zu schließen.

„Bist du immer noch hier drin?“, hörte er eine verständnislose Stimme, die zum Schatten in der Tür gehörte. „Du wirst nichts erreichen können, wenn du dir die Videos wieder und wieder reinziehst.“

Er schloss die Augen und achtete nicht auf die gehässigen Worte. Er wusste selbst, dass es nicht geklappt hatte und der verdiente und anerkennende Erfolg fehlte.

Der Schatten trat in den Raum und stellte sich neben ihn. „Was ich immer schon gesagt habe: Der Versuch ist ungültig, solange die Versuchsperson sich nicht an sein Opfer erinnert. In diesem Fall hat er keine Ahnung gehabt, wer sie eigentlich war. Um die wirkliche Funktionalität deiner Arbeit zu testen, brauchst du stärkere emotionale Bindungen.“

Er ließ seine Finger nervös neben der Maus herum-tippeln.

„Wenn du eine Mutter dazu kriegst, ihr Kind zu töten, nur weil du ihre Gedanken bündelst und kontrollierst, wäre es noch mal eine ganz andere Gewichtsklasse“, erklärte der Schatten hinter ihm.

Doch er brauchte diese Belehrung nicht. Er wusste auch so, dass es stimmte und sein Versuch so gut wie gar nichts zeigte.

Er formte seine Hand zu einer Faust und knetete die einzelnen Knöchel.

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Er hatte so hart gearbeitet – doch wer sagte denn, dass es vorbei war?

Wenn er wirklich glänzen wollte, brauchte er aussagekräftigere Ergebnisse als die bisherigen. Und die könnte er be-kommen.

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