Kapitel 1
Er vernahm das Plätschern der Wellen, die sachte an seine Hosenbeine schwappten und spürte das kühle Wasser an seinen Waden und in seinen Schuhen. Unter anderen Umständen hätte es vielleicht unangenehm sein können, aber heute empfand er nicht so. Das Wasser gab ihm Ruhe. Vielleicht konnte er so verstehen, was passiert war.
Vollkommen reglos stand er auf den glitschigen Steinen im knietiefen Wasser. Über ihm dröhnten in regelmäßigen Abständen Lastwagen über die Köhlbrandbrücke und gaben der Szene nur noch mehr Dramatik. Bei jedem Wagen schien die Luft zu vibrieren.
Doch seine Gedanken kreisten nur um eine Sache.
Er hatte sie getötet.
In seinen Händen hielt er ihr Bild, den Beweis für ihre Existenz. Lächelnd und schön. Glücklich.
Er spürte Trauer. Aber der Schmerz fühlte sich taub an. Trauer war ein ungewohntes und befremdliches Gefühl, das er lange unterdrückt hatte. Was auch immer es jetzt war, es fühlte sich nicht normal an; es war keine richtige Trauer. Trauer sollte wehtun, sollte Schmerzen im Körper verursachen, dass man sich winden und schreien wollte, aber so war es nicht. Die Taubheit benebelte seinen Körper, sodass er gar nichts mehr spürte. Es war egal. Der Umstand einer eingenommenen Schlaftablette würde sich ebenso anfühlen. Seine Augen brannten und schrien nach der kühlen Erlösung der Tränen, doch es floss keine einzige.
Sein Körper hatte das Weinen verlernt.
Er hatte sie getötet.